Der Hanselstein



Der Hanselstein

Ein Auszug aus dem Hollenthon-Buch, niedergeschrieben vom ehemaligen Bürgermeister Dir. Josef Birnbauer (†) und seiner Gattin Siglinde:


Einer alten Sage zufolge hatte der Hofbauer in Spratzeck einen Halterbuben. Das war der vierzehnjährige Hansel, der alle Tage die Kühe des Bauern auf die Weide trieb. Dort ragte ein großer Felsblock empor. Wenn die Kühe grasten, lag Hansel neben dem Felsblock, schaute zum Himmel empor und sah den Wolken zu, die in mannigfaltigen Formen dahinzogen. Hatte er sich an den Wolken sattgesehen, sammelte er Steine und warf sie auf den Felsblock. Am liebsten kletterte er aber auf dem schrundigen Stein umher, stellte sich auf seine Spitze und rief, was ihm gerade einfiel über die Weide zum Wald hinüber. Dann antwortete der Widerhall und Hansel hatte seine Freude am Echo.

Er war kein schlechter Bub, nur eine üble Eigenschaft hatt er: Er konnte fluchen wie ein alter Landsknecht. Er konnte sich über eine Kleinigkeit so ärgern und schimpfen, dass sich jeder ordentliche Christenmensch entsetzt abwandte. Seine Eltern hatten ihn deswegen oft ermahnt und bestraft. Alles war vergebens. Aber eines Tages war das Maß voll.

Hans saß wieder auf dem Felsblock. Er nahm das Jausenbrot, das ihm die Hofbäurin mitgegeben hatte, aus der Rocktasche und begann zu essen. Als er es zum Mund führen wollte, fiel es ihm aus der Hand und rutschte in eine Spalte des Felsens. Der Bursche wurde ganz rot vor Zorn, fluchte und rief: "Verflucht, jetzt ist die gute Jause weg! Der Teufel soll alles holen." Kaum hatte er das gerufen, da spaltete sich der Felsblock, Hansel rutschte hinein und verschwand. Dann schloss sich der Stein wieder.

Am Abend kamen die Kühe alleine von der Weide heim. Der Bauer und die Bäurin konnten sich nicht erklären, wo der Hüterbub geblieben war. So schickten sie noch vor dem Füttern den Knecht zum Stein hinaus. "Geh hinaus zum Stein und schau nach, was mit dem Hansel los ist!", sagten sie zu ihm. Als der Knecht in die Nähe des Felsblockes kam, vernahm er entsetzliches Jammern und Schreien, das ihm durch Mark und Bein ging. Da hielt er schaudernd seine Schritte an. Unheimlich und drohend starrte der Fels in der Dämmerung. Das Jammern setzte aus und begann nach einer Weile wieder. Es war Hansels Stimme. Sie kam aus dem Inneren des Steines.

Den Knecht packte das Grauen, er rannte davon. Daheim berichtete er den Bauersleuten zitternd, was er gehört hatte. Die Bäuerin und die Kinder begannen zu weinen, der Bauer aber sagte: "Den hat der Teufel geholt, weil er sich das Fluchen nicht abgewöhnen konnte." Drei Tage und drei Nächte hörte man das Schreien, dann wurde es schwächer und verstummte. Von da an nannten die Leute von Spratzeck und aus der Umgebung den Felsen "Hanselstein".